top of page

Ankunft, erste Nacht und zwei verwirrende Begegnungen


Die Mongolei hat uns verschluckt, auf den Kopf gestellt und wieder ausgespuckt. Wortwörtlich. Besonders das mit dem auf den Kopf gestellt. Aber eins nach dem anderen.

Im russischen Irkutsk hätten wir fast den Zug verpasst, da die Strassen von Irkutsk bereits früh am morgen völlig verstopft waren. Guru war deshalb total nervös und umso glücklicher und voller Vorfreude, als wir den Zug doch noch erreichten.

Wir betraten den saubersten Wagon, den wir bisher erlebt hatten und bezogen zwei Betten in einem Viererabteil in der zweiten Klasse. Bis nach Ulan-Bator zog niemand bei uns ein.

Zwei Zugbegleiter wollten uns noch Souvenirs verkaufen. Sie setzten sich in unser Abteil und packten alles aus, was sie irgendwo in ihren Taschen fanden. Sie bettelten förmlich darum, dass wir ihnen die Souvenirs abkaufen. Ihnen war sicherlich bewusst, dass wir noch russisches Geld übrig hatten und in der Mongolei schlecht umwechseln konnten. Guru, der Schwächere von uns, knickte ein und kaufte zwei Kugelschreiber mit dem Logo der russischen Eisenbahn...

Offensichtlich wollte kein Russe in die Mongolei. Im ganzen Wagen waren nur drei von zehn Abteilen belegt. Der Grenzübergang in Russland fand um ca. 21 Uhr statt und ihn zu verpassen, ist unmöglich. Das ging etwa so vonstatten:

  1. Ausreisekontrolle durch eine Russin, Einzug der Immigration Card die uns davor ausgeteilt wurde und Stempel in den Pass.

  2. Durchsuchung des Gepäcks auf Schmuggelware durch einen russischen Zollbeamten.

  3. Durchsuchung des Abteils auf unerlaubte Ausfuhr von Waren durch russischen Zollkontrolleur.

  4. Abschliessende Kontrolle durch eine weitere russische Zollbeamtin mit Hund (eventuell war sie vom Militär).

Russischer Grenzübergang

Bereits in Irkutsk hatte sich das Aussehen der Menschen verändert. Die Gesichter wurden runder, die Augen länger, die Körper massiver und der Teint dunkler. Die ersten „richtigen“ Mongolen sah Guru (Banana hat es verschlafen) aus dem Fenster, als der Zug um ca. 23 Uhr in das mongolische Hoheitsgebiet einfuhr. Es salutierten etwa zehn Soldaten in Uniform auf dem Perron. Den ersten „richtigen“ Mongolen aus nächster Nähe stand uns dann kurz danach in unserem Abteil gegenüber. Er war in einer sauberen Uniform gekleidet und salutierte uns sehr förmlich zu. Danach forderte er uns höflich auf vorzutreten und ihm den Pass zu überreichen. Er verglich unsere Passfotos aufmerksam und liess uns passieren. Danach folgten nochmals die Gepäck- und Abteildurchsuchungen, ähnlich wie auf der russischen Seite, jedoch ohne Hund.

Mongolischer Grenzübergang

Wir erreichten Ulan-Bator um 6.30 Uhr am Morgen. Die Sonne war bereits aufgegangen, die Luft war kühl und die Stadt war noch ganz ruhig. Am Bahnsteig erwartete uns Khaliuna, in der Hand ein Schild mit unseren Namen drauf. Sie begrüsste uns herzlich.

Khaliuna fuhr uns zum Hauptsitz ihres Arbeitgebers Drive Mongolia. Auf der Fahrt erblickten wir die modernen 30 oder 40 stöckigen Hochhäuser, welche die zwei grossen Verkehrsachsen der Stadt säumten.

Die einfachen Büroräumlichkeiten von Drive Mongolia befanden sich mitten in der Stadt unweit der wichtigen Peace Avenue. Im selben einstöckigen Gebäude befindet sich auch das zum Unternehmen gehörende coole Café „Adventure Temple“, wo sich in der Hochsaison bestimmt viele Reisende treffen und austauschen. Bei unserem Besuch war es menschenleer.

Wir mieteten von Drive Mongolia ein Auto, genauer gesagt ein Toyota Land Cruiser 100er Series. Auf dem Auto klebte ein Sticker mit der Aufschrift „Taiga’Zelles“ – Ein Wortspiel (Taiga und Gazelle). Drive Mongolia stattete uns komplett aus: Ein GPS anno 1988 (kann nur Koordinatenpunkte anzeigen), ein voller Tank, vier dicke Schlafsäcke, ein Rooftop-Tent, ein Gasgrill, ein Klapptisch, zwei Klappstühle, Geschirr und Kochtöpfe, zwei Matratzen, ein Kasten mit Werkzeug und zwei komplett Ersatzräder (Reifen und Felgen). Khaliuna und ihr Team gaben uns noch einige Tipps bezüglich der Route und wir deckten uns mit Koordinaten ein.

Nun fehlte nur noch Proviant für die ganzen zehn Tage. In einem der zahlreichen Supermarkts in der Stadt war es leicht uns ausreichend einzudecken. Kurz vor Mittag nahm der Verkehr immer mehr zu. Wir wollten eigentlich noch Holz kaufen, um ein Feuer machen zu können, aber das rare Gut wurde nirgends verkauft. Als wir frisches Fleisch kaufen wollten, viel prompt der Strom aus. Der ganze Supermarkt war dunkel. Es beunruhigte aber niemanden weiter. Irgendwann ging das Licht wieder an und die Kühlregale brummten wieder leise vor sich hin, als wäre nichts geschehen. Unvorstellbar in der Schweiz, man bedenke die Richtlinien zur Kühlkette...

Gegen 14 Uhr verliessen wir die Stadt Richtung Norden auf einer modernen, mehrspurigen und stark befahrenen Hauptverkehrsachse, die von unzähligen Tankstellen und grossen Supermärkten gesäumt war. Ziemlich bald danach wurde die Strasse einspurig und links und rechts davon sah man nur noch die mongolische Steppenlandschaft. Guru fuhr das Auto und Banana navigierte – so wie es üblich ist bei uns. Wir waren heilfroh, endlich den unterdessen dichten Verkehr im Stadtzentrum hinter uns lassen zu können und erstaunt darüber, wie unkompliziert und rasch wir in unser Abenteuer starten konnten.

Obwohl wir gut vorankamen, merkten wir bald, dass wir das erste Etappenziel nicht mehr am gleichen Tag erreichen konnten. Die Sonne sank immer weiter hinunter zum Horizont und um 17 Uhr beschlossen wir, unser Zelt aufzuschlagen. Wir fuhren von der Strasse ab und soweit querfeldein, bis wir ein geeignetes Plätzchen gefunden hatten. Wir hatten dafür extra nochmals bei der Vermietfirma nachgefragt und freies Campieren ist in der Mongolei völlig normal. Wir hatten dennoch dabei ein mulmiges Gefühl. In der Schweiz fährt man nicht einfach so von einer Strasse ab und garantiert landet man dabei im Feld eines Bauern. Es fühlte sich für uns verboten an und wir wiederholten in unseren Köpfen immer wieder, was Khaliuna sagte „outside Ulan-Bator everything is nomadic life“.

In der Ferne erblickten wir einzig eine Herde von grasenden Pferden. Wir kochten auf unserem Gaskocher unsere ersten mongolischen Spaghetti und bereiteten das Nachtlager vor, alsdann wir entdeckt wurden. Aus der Ferne steuerte ein Motorrad direkt auf unser Lager zu und wühlte dabei eine Staubwolke hinter sich auf. Wir waren auf alles gefasst. Wir warteten darauf, dass man uns zurechtwies, vom Feld verwies oder bedrohte. Das Gefährt näherte sich immer mehr, kam aber nicht zum stehen. Gesteuert wurde das Motorrad von einem Mongolen. An seinem Rücken klammerte sich eine Mongolin fest. Beide strahlten bis über beide Ohren und umkreisten unser Camp einmal komplett, bevor sie sich ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick wieder entfernten. Wir konnten uns keinen Reim darauf machen und gingen zu Bett.

Spät in der Nacht hörten wir, wie sich plötzlich ein Auto näherte und uns mehrmals umkreiste und hupte. Guru schaute nach draussen. Wir getrauten uns nicht uns zu bewegen. Was um alles in der Welt wollte man schon wieder von uns? Erst als Guru ein OK-Zeichen gab, entfernte sich das Auto wieder.

Höchstwahrscheinlich waren dies unsere ersten Treffen mit der mongolischen Hilfsbereitschaft, der wir in den kommenden Tagen noch vielmals begegnen werden, aber wir zu diesem Zeitpunkt nicht richtig einordnen konnten. Wir ordneten dieses Verhalten nämlich sofort als aufdringliche Neugierde oder Bedrohung ein. Aber wir sind unterdessen überzeugt davon, dass man sich einfach versichern wollte, dass es uns gut geht. Einfach so. Etwas, was wir schon lange nicht mehr erlebt hatten.

bottom of page