Spaghetti, Schafhirten und das Kloster Erdene Dsuu

Es ist einfach ein unbeschreibliches befreiendes Gefühl, wenn man sich in der Mongolei ins Auto schwingt und, sobald man die grösseren Städte hinter sich gelassen hat, endlose Felder durchquert und unzählige Tierherden mit Jungtieren entdeckt, die auf den noch kargen Grassteppen der zentralen Mongolei in aller Ruhe weiden. Wir fuhren ab Erdenet via Bulgan nach Charchorin, und ab Bulgan führte der Weg uns das erste Mal in Richtung Süden.
Gegen den späten Nachmittag wählten wir einen Schlafplatz auf einem Hügel, der von der nächsten grösseren Siedlung etwas entfernt gelegen war. Wir stellten unsere Küche auf und kochten Spaghetti, als ein älterer Mongole hoch zu Ross den Hügel in unsere Richtung hinauf kam. Er trug einen mongolischen Deel, ein traditioneller Mantel). Es sah aus wie in einem Werbefilm für Mongolei-Rundreisen.
Wir begrüssten uns freundlich. Der Mongole lud uns sofort in seine Jurte ein. Es dauerte einen Moment bis er verstand, dass im Windschatten des Autos unser Essen kocht und wir dies nicht einfach stehen lassen wollten. Wir luden ihn also zum Spaghettiplausch ein. Plötzlich klingelte ein Mobiltelefon, dass der Mongole aus seiner Tasche kramte. Die Anruferin war offensichtlich seine Frau. Er redete viel, gestikulierte wild und sein Blick schweifte immer wieder in die Richtung, woher er kam. Womöglich wollte sie wissen, wo er abgeblieben war.
Wir sassen zu dritt um unsere „Feuerstelle“. Während die Spaghetti langsam weich wurden, näherte sich ein Motorrad. Darauf sass ein Mann mit Kind. Es stellte sich heraus, dass es sich um den Sohn des Mongolen und dessen Kind (ebenfalls ein Junge) handelte. Sie begrüssten uns und musterten uns neugierig. Wir musterten sie ebenfalls. Der ältere Herr sammelte irgendwann getrocknete Pferdefladen ein und gab uns zu verstehen, dass diese besonders gut brennen, denn sie würden nicht mit Gas kochen, so wie wir es gerade taten.
Als die Gruppe etwas später unsere Spaghetti kosteten, verzogen sie ihre mongolischen Mienen. Es schmeckte ihnen so gar nicht. Sobald aufgegessen war, gab man uns zu versetehen, dass wir alle sofort los müssen. Es ging den Berg hinunter, wo neben einem Stall eine kleinere und eine grössere Jurte beieinander standen.
Die Frau und ein kleines Mädchen, ca. 4 Jahre alt, winkten uns freudig zu. Wir betraten die einfache Jurte, wo um den Ofen herum mehrere Better angeordnet waren. Die Frau kochte am Ofen in der Mitte einen gut riechenden Eintopf und guckte gleichzeitig im Fernseher eine topmoderne mongolische TV-Soap im amerikanischen Stil. Zu gerne hätten wir gewusst, was wohl in ihrem Kopf vorgeht, wenn sie diese Fernsehshow sieht, die so völlig im Kontrast zu ihrer Realität steht. Dachte sie sich nichts dabei? Oder wünschte sie sich auch eine Wohnung in einem Hochhaus? War da Neid oder Hass? Oder genoss sie die Ablenkung von ihrem Alltag?
Man wies uns einen Platz zu und als der jüngere Sohn eintraf, servierte man uns eine volle Schüssel Eintopf und heisse Ziegenmilch. Wir assen alle gemeinsam. Es war ein unerwartetes Erlebnis und ohne Worte gaben wir uns zu verstehen, dass dies ein ganz besonderer Moment war. Nach dem Essen musste Guru Schnupftabak ausprobieren. Dieser war unglaublich stark und Guru verzog das Gesicht wie schon lange nicht mehr. Banana lehnte danken ab.
Kurz danach wurden wir nach draussen gebeten. Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu und wir sahen wie der Sohn zu Pferd eine grosse Schafherde auf den Stall zutrieb. Ohne es richtig zu realisieren, befanden wir uns mitten in einer unvergesslichen Szene. Es galt nämlich, die Tiere in den Stall zu treiben um sie vor der dunklen Nacht (Wölfe, Räuber, klirrende Kälte, Felsabgründe usw.) zu schützen.
Die Tierherde war gross und der Stall relativ klein. Daher wurden die Jungtiere getrennt untergebracht. Das Unterfangen war kein einfaches. Immer mal wieder haute ein Schaf kurz vor dem Ziel ab. Der Boden war dicht mit Schafkot überdeckt. Die Kleinste in der Familie half ebenfalls mit, wobei sie aber am liebsten an Gurus Bein hing und ihn neckte. Immer mal wieder warf sie sich lachend auf den dreckigen Boden. Sie war von Kopf bis Fuss schmutzig, es schien niemanden zu stören. Als Anfänger konnten wir nicht richtig helfen und so wurden wir nach einiger Zeit ziemlich hastig verabschiedet.

Wir realisierten erst später während wir am Feuer sassen und den Sternenhimmel bewunderten, dass dies nicht unfreundlich gemeint war, sondern dass die Dunkelheit schon bald eintraf und die Herde in der Nacht nur noch super mühsam eingetrieben werden kann. Die Weideviehwirtschaft war nämlich, so haben wir es empfunden, die einzige Einkommensquelle der Familie und somit überlebenswichtig. Wir haben die Familie nicht mehr angetroffen, nehmen aber die Erfahrung in unseren Herzen mit, denn selten wurden wir so herzlich und ohne Vorurteile oder Angst und Scham zu jemandem nach Hause eingeladen.

Tag 31, 3. April 2019 - Kloster Erdene Dsuu
Das vor 433 Jahren gegründete Kloster Erdene Dsuu strahlte in der frühen Morgensonne und der Kontrast zum blauen Himmel hätte nicht besser sein können. Wir waren an diesem Tag früh dran und auf dem Parkplatz direkt vor dem Kloster waren noch keine anderen Autos parkiert. Im ersten buddhistischen Kloster der Mongolei lebten einst über 1000 Mönche. 1937 vernichtete Stalin das Kloster fast vollständig. Heute sind erst vier der einst ca. 62 Tempel restauriert. Wunderschön ist die von 100 Stupas gekrönte Mauer, die das Areal umgibt und einem erahnen lässt, wie imposant die gesamte Anlage einst gewesen sein muss.
Das Kloster liegt unweit der Stadt Charchorin, wo in der Nähe Ausgrabungen der einstigen Hauptstadt des mittelalterlichen Mongolenreichs vorgenommen werden. In Charchorin kamen wir erst gegen Abend an und übernachteten wieder in einem günstigen Hotel. Charchorin empfanden wir im Gegensatz zu Erdenet als ruhig und sauber, was wohl auf die zwei vorherrschenden Wirtschaftszweige Tourismus und Landwirtschaft zurückzuführen ist.