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Datong oder auch Traditionskitsch


Die Zugfahrt war legendär. Im Wagon waren ca. 80 Personen. Wir sassen eingequetscht in einem Sechserabteil. Vis-à-Vis befand sich nochmals ein 4er-Abteil. Was die Zugfahrt ab Peking so unvergesslich machte, waren die Verkäufer, die immer wieder den Waggon durchquerten und lautstark diverse Dinge verkaufen wollten. Dazu gehörten getrocknete Feigen (jeweils einzeln in Plastik eingepackt), hässliche Minzbonbons, Teeblätter und unverwüstliche Lesebrillen (inklusive Demonstration wo der Verkäufer auf der Brille herumstampfte). Weil wir offensichtlich exotisch waren – und somit den Verkauf ankurbelten - erhielten wir gratis Kostproben und mussten alles ausprobieren. Auch die Brille. Es war köstlich. Unvergesslich waren auch die unüberhörbaren Telefongespräche, das Spucken und Rauchen im Gang und das Seriengucken ohne Kopfhörer. Kulturschock pur.

Die Zugfahrt verging im Fluge und so waren wir bald schon in Datong. Das Hostel Green Island lag direkt am Bahnhof. Die Lage war perfekt, das Hostel ein echtes Backpacker-Juwel mit gutem Kaffee und Simon, der Besitzer, auf allen Hostel-Wänden omnipräsent.

Zimmer im Green Island Hostel

Nach Datong zog es uns wegen der viel gerühmten Altstadt, dem Hängenden Kloster Xuankong Si und den Yungang-Grotten. Noch am selben Abend nahmen wir den Bus, welcher uns näher an das alte Stadtzentrum brachte. Wir assen ausserhalb der Stadtmauer eine köstliche Nudelsuppe und liefen danach durch die Altstadt wieder Richtung Hostel.

Datong wirkte auf uns wie eine Kleinstadt. Mit 1.36 Millionen im Stadtzentrum (wie Zürich) und nochmals rund 2 Millionen in der Agglomeration war dies aber eigentlich so gar nicht der Fall. Die Altstadt hatte man auf Hochglanz poliert. Im 2008 wurden zig Milliarden investiert, um die alte Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert zu rekonstruieren. Auf uns machte es aber eher den Eindruck, als wäre sie komplett neu gebaut worden. Sie war zu perfekt. Aalglatt. Auch das einstige Leben innerhalb der modernen-alten Stadtmauer musste der Yuppisierung weichen. Es wurden über 30'000 Bewohner umgesiedelt, so erzählte man uns im Hostel. Während unseres abendlichen Spazierganges waren die Strassen leer gefegt. Die Altstadt wirkte wie eine Filmkulisse für einen China-Werbefilm. Ein Freizeitpark für Touristen und Reiche tagsüber? Definitiv. Der Weltspiegel nennt es Traditionskitsch. Wir mögen den Ausdruck.

Irgendwann waren unsere Beine müde und wir sprangen in ein Taxi. Dieses brachte uns für sehr wenig Geld bis zum Hostel. Dank der Übersetzungsapp von Microsoft konnten wir uns mit dem Taxifahrer unterhalten. Auf unsere Frage, was für ihn Glück ist, antwortete er:

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