Xi'an und die Terrakotta Armee

Draussen war es bereits dunkel, die Luft war aber noch angenehm warm. Vom Bahnhof aus gelangten wir mit der topmodernen Metro bis ins Stadtzentrum von Xi'an, wo uns die Rolltreppe aus dem Untergrund direkt vor Xi'ans Stadtmauer ausspuckte. Viele Gebäude und Bäume waren in farbiges Licht getaucht: Grün, violett, rot und gelb. Als wir die Altstadt beim Xi An Huan Cheng Park betraten, sassen viele junge Menschen in den Bars und die Stimmung war allgemein sehr entspannt. Hippie-Feeling mitten in China.
Das Jano’s Backpacker Hostel hatten wir kurz vorher über booking.com reserviert und fanden wir in einer ruhigen Seitengasse. Wir checkten ein und beim gebuchten Zimmer handelte es sich um ein Raucherzimmer im Keller ohne Fenster. Für wenig Geld mehr erhielten wir ein grosszügiges und traditionell chinesisch eingerichtetes Zimmer im Dachgeschoss mit eigenem Bad. Wir gelangten zum Zimmer, in dem wir die nicht überdachte Dachterrasse überquerten und eine gewundene Treppe hochstiegen. Wir fühlten uns ein wenig wie Einheimische. Am gleichen Abend spazierten wir noch hungrig durch das unterdessen ruhige aber schöne Xi’an bis ins muslimische Viertel zum von Touris überlaufenen Nachtmarkt. Dort probierten wir einige Spiesschen und fanden sie schlecht. Wir gingen wieder zurück zum Hostel und fanden auf dem Weg noch einen offenen chinesischen Burgerladen, wo das Essen zwar nicht speziell dafür aber geniessbar war.
Am nächsten Tag schliefen wir aus und am Nachmittag setzten wir uns in Xi’ans moderner Altstadt in ein urbanes Café, schrieben an unseren Blog und planten den Ausflug zur Terrakotta Armee. Am Abend assen wir einen genialen Hotpot.
23. April 2019 - Terrakotta Armee
Dank einem Hinweis in unserem Reiseführer nahmen wir ab dem Bahnhof Xi’an einen Bus für ca. 8 Yuan (ca. 1.20 CHF) bis zum Parkeingang der Grabanlage in Lintong. Die Fahrt dauerte rund eine Stunde. Der Bus hielt auf einem riesigen Parkplatz und unzählige Besucher strömten aus allen Richtungen zum Eingangsgebäude. Das erste Mal in China sahen wir nicht nur chinesische, sondern auch viele westliche Touristen. Wir wurden sogleich von einem jüngeren Reisenden angesprochen und gefragt, ob wir mit ihm einen Terrakotta-Tour-Führer teilen möchten. Wir lehnten das Angebot dankend ab, denn im Reiseführer war das Wichtigste bereits erklärt. Nach dem Ticketkauf liefen wir noch ca. 10 Minuten durch den Park bis zur Ticketkontrolle. Auch für diese Strecke wäre es möglich gewesen einen Golfcart zu nehmen.


Die Grabanlage umfasst 100 Quadratkilometer und ist somit die größte archäologische Ausgrabungsstätte der Welt (siehe Artikel hier). Geschätzt sind ca. 70 % der Anlage noch nicht ausgegraben. Wie im Reiseführer empfohlen, starteten wir mit dem Einführungsfilm und besuchten danach die Gruben nicht der Reihe nach, sondern verkehrt herum, sodass wir mit der besten Grube den Rundgang beendeten.
Für den Einführungsfilm mussten wir auf einem Hocker platz nehmen und uns VR-Brillen anziehen. Der Animationsfilm war leider nur auf Chinesisch (andere Sprachen waren nicht verfügbar) und zeigte die Entstehungsgeschichte. Wir verstanden kein Wort, lustig war es aber dennoch sich in der virtuellen Welt um 360 Grad drehen zu können. Was wir eigentlich hätten erfahren sollen, lernten wir erst später aufgrund eigener Recherchen.
Kurz zusammengefasst: Der erste Kaiser von China, Qin Shi Huang Di, begann mit seiner Thronbesteigung (221 v. Chr.) im Alter von 38 Jahren bereits mit dem Bau seiner Grabstätte. Weil er überzeugt davon war, dass seine Seele in einer anderen Welt weiterexistierte, errichtete er mit dem Mausoleum eine Wohnstätte für seine Seele und wollte sicherstellen, dass er all seine Besitztümer zu Lebzeiten auch nach seinem Tode noch besass. Was man da als Kaiser so mitnimmt? Ein Pferdestall, eine Grube mit Kalksteinpanzern und -helmen, Wohnhäuser für die Mausoleumsbeamten und die Wächter, eine Grube mit Tieren und Vögeln, Tänzer und Artisten, Gewichtheber, Tierpfleger, Gelehrte, Schreiber, Narren und Musiker, eine parkähnliche Bachlandschaft, eine riesige rechteckige Audienzhalle, ein prachtvoll gestaltetes Glockenspiel, Nebenhallen, eine Wohnhalle, Zivilbeamte, eine 3'025 Quadratmeter grossen Grube mit prächtig gestalteten Bronzewagen und natürlich auch eine Armee. Der Preis dafür waren ca. 700'000 Zwangsarbeiter, erkennbar an den Fussfesseln, dessen Gräber man unweit der Anlage fand. Die Armee mit geschätzt 8'000 Figuren lässt sich in drei überdachten Gruben begutachten, die obwohl man den Grabhügel bereits schon kannte, per Zufall beim Brunnenbau entdeckt wurden.
Wir waren nicht die einzigen, die dieses Werk begutachten wollten. Gefühlt tausende andere Touristen waren auch dort. Leider vor allem chinesische Rüppel-Touristen, die keinen Anstand mehr haben und ohne Rücksicht schrien, drängeln und schubsten.
Es war echt ätzend. Gerne hätten wir uns mehr Zeit gelassen, denn wir fanden die Ausgrabungen echt spannend, aber bei diesem Andrang war es einfach unmöglich. Wir wollten irgendwann nur noch raus aus den Massen. Dafür wurde man eine gefühlte Ewigkeit lang durch eine touristische Anlage geschleust, wo man Souvenirs usw. kaufen sollte. Es wollte nicht enden. Da der Eintritt recht teuer war, fanden wir es komisch, dass seit vielen Jahren nicht mehr Gruben ausgegraben wurden. Wir vermuten, dass das Geld in korrupten Taschen landet und nicht dort, wo es eigentlich hinsollte. Die Organisation war für diesen Besucherandrang einfach nur katastrophal. Es gäbe so viele Wege um die Massen besser zu koordinieren (Zum Beispiel fix zugeteilte Besuchszeiten wie wir später im Potala Palast in Lhasa erleben durften und eine Beschilderung in welche Richtung man laufen muss, damit sich nicht alle in die Quere kommen.). Die kommerzielle Ausschlachtung dieses Weltkulturerbes haben sie aber auf den Gipfel getrieben. Dafür Hut ab.

Heilfroh stiegen wir dann in den Bus zurück zum Hotel und dann rein in den Nachtzug nach Shanghai.