top of page

Härteste Zugfahrt aller Zeiten: Von Shanghai nach Zhangjiajie


Dass es unsere härteste Zugfahrt aller Zeiten werden würde, wussten wir beim Betreten des Zuges noch nicht. Wir brachten die Sicherheitschecks im topmodernen Rundbahnhof hinter uns, warteten brav in der Reihe vor dem Zug und stiegen geordnet und voller Vorfreude ein. Wir waren ja schon einige Kilometer mit dem Zug unterwegs gewesen und wussten ungefähr, was auf uns zukommen würde: Ein offener Schlafwagen, sechs Personen pro Abteil, heisses Wasser für Tee und Suppen, Spucken und Rülpsen, Toiletten ohne WC-Papier, Zigarettenrauch zwischen den Waggons und garantiert waren alle Plätze restlos ausgebucht. Grundsätzlich war das Preisleistungsverhältnis bis jetzt immer unschlagbar gewesen und der Einblick in die Kultur war jede Mühe wert. Also stiegen wir ein, bezogen die obersten Betten im Abteil und hatten genug Proviant für ein Mittagessen und ein Abendessen dabei und natürlich ausreichend Klopapier. Alle Batterien von unseren mobilen Geräten waren geladen. Kurz gesagt: Es konnte losgehen.

Härteste Zugfahrt aller Zeiten: Von Shanghai nach Zhangjiajie

Wir hatten aber nicht mit den zwei jungen chinesischen Fahrgästen gerechnet, die sich mit ihrer Mutter in das gleiche Abteil setzten. Wie schon oft beobachtet, wurde für die Kinder kein extra Ticket gelöst, respektive hatten die Kinder somit kein eigenes Bett zur Verfügung für die nächsten 23 Stunden.

Die Mutter teilte sich also ein enges Bett mit ihren zwei Söhnen die zwischen sechs und zehn Jahre alt waren. Die anderen drei Betten waren ebenfalls mit Erwachsenen belegt. Zu Beginn war das ganz lustig zumal wir als Ausländer sofort die Aufmerksam der zwei Buben auf uns zogen. Guru gab sich besonders Mühe und spielte mit ihnen. Als es dann spät wurde und sich Guru vor Müdigkeit etwas zurückzog, liess auch ihr Interesse nach und die Jungs spielten selber weiter. Sie tobten wild durch den Waggon, spielten „Affen“ im Abteil oder zockten lautstark Games auf dem Smartphone der Mutter. Kinder halt.

Härteste Zugfahrt aller Zeiten: Von Shanghai nach Zhangjiajie

Es wurde später, viele legten sich schlafen und das Licht wurde gedimmt. Die Mutter kümmerte das nicht gross. Seid wir eingestiegen waren, schlief sie mehr oder weniger durch und tat dies auch noch bis der Zug am nächsten Tag anhielt. Die Mutter schien sich in ihrem Schönheitsschlaf durch ihre Jungs nicht gestört zu fühlen und die Jungs genossen die Freiheit in vollen Zügen (wortwörtlich in vollen Zügen).

Bild: Ausblick auf das Gepäckfach aus den obersten Betten

Härteste Zugfahrt aller Zeiten: Von Shanghai nach Zhangjiajie

Auch um Mitternacht waren sie noch putzmunter und so laut wie eine dreissigköpfige chinesische Reisegruppe. Dass die Mutter selig schlafen konnte, überraschte uns nicht besonders. Wir hatten in den letzten Tag festgestellt, dass sich Chinesen umgeben von Lärm besonders wohlfühlen. Innert kürzester Zeit waren alle um uns herum am schlafen. Wir hingegen taten kein Auge zu - trotz unseren Ohrstöpsel. Da es offenbar sonst niemanden störte und es offensichtlich in ihrer Kultur völlig okay war, wollten wir uns nicht beschweren. Die Jungs sassen auch gegen drei Uhr morgens noch im Gang, klebten mit der Nase am Fenster und besprachen alles, was draussen in der Nacht an uns vorbeizog. Irgendwie war es niedlich und trotzdem nervte es uns, dass der Mutter das Benehmen offenbar egal war, vor allem weil es uns unseren Schlaf kostete.

Wir machten also diese Nacht kaum ein Auge zu und waren heilfroh, als wir uns am nächsten Nachmittag endlich unserem Ziel näherten. Die Landschaft, die wir nun draussen sahen, war atemberaubend schön, auch wenn es teilweise regnete. Aber unsere Augen waren so unglaublich müde.

Härteste Zugfahrt aller Zeiten: Von Shanghai nach Zhangjiajie

Die Jungs übrigens waren spätestens ab sechs Uhr wieder putzmunter. Die Energie zogen sie wohl aus den chinesischen Nüssen, die sie aus einer Tasche der Mutter hervorholten und die Schalen fleissig auf den ganzen Boden verteilten. Für Ordnung sorgte aber nicht die Mutter, sondern eine Bahn-Putzfrau, die den Boden reinigte. Uns wurde klar, was eigentlich auf der Hand lag: Eine Kultur eignet man sich nicht willkürlich irgendwann an, die jeweilige Kultur prägt uns bereits im Kindesalter.

Härteste Zugfahrt aller Zeiten: Von Shanghai nach Zhangjiajie

bottom of page