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Im Zug von Moskau nach Murmansk


In den Stunden vor der ersten von insgesamt vier Zugreisen innerhalb Russlands waren wir freudig nervös. Wir deckten uns für die kommenden 36 Stunden mit unterschiedlichen chinesischen Quick-Suppen, Karotten, Gurken, Bananen, Äpfeln, Chips und so weiter ein. In Moskau gibt es mehrere Supermärkte. Unser Favorit ist der an der Metro-Station Polyanka. Am Bahnhof Leningradskji gibt es auch einen kleinen Supermarkt mit leicht höheren Preisen. Sollten wir die beste Suppe finden – weil wir die Inhaltsangaben auf russisch nur anhand der Bilder erahnen können – werden wir euch informieren.

Als wir die Metro am Komsomolskaja-Platz, Platz der drei Bahnhöfe, verliessen, blies uns ein kalter Wind entgegen. Wir passierten einen Sicherheitscheck am Bahnhof, einen wie man ihn von der Fliegerei her kennt. Es war einer von vielen Sicherheitschecks, denn an jedem Metro-Eingang muss man einen passieren. Ursache für die verschärften Sicherheitsmassnahmen sind die Sprengstoffanschläge vom 29. März 2010, die an zwei Metrostationen verübt wurden.

Wir prüften unseren Zug auf der riesigen Informationstafel, auf welcher die Abfahrten auf Russisch, Chinesisch und Englisch angeschrieben waren. Speziell: Die Züge waren darauf nicht nach Abfahrtszeit sortiert aufgelistet, sondern nach Zugnummer.

Wir waren fünf Stunden vor Abreise dort und genossen es, die Bahnhofsroutine zu beobachten und im TGI Friday’s nochmals „normal westlich/amerikanisch“ zu Nacht zu essen.

Rund eine Stunde vor Abfahrt wurde die Perronnummer bekanntgegeben. Wir durchliefen noch einen Sicherheitscheck und gelangten aus den warmen Wartehallen direkt auf den Bahnsteig. Es wimmelte von russischen Passagieren und in der kalten Luft hing der Duft von Kohle.

Vor jedem Wagon stand eine Provodnista und verglich die Namen in den Pässen mit der Passagierliste auf ihrem Smartphone. Die Provodnista ist zuständig für ihr Wagon, das heisst, sie nimmt zwischendurch den Boden feucht auf, reinigt die WCs und füllt WC-Papier (supertolles einlagiges Karton-Papier) nach, verkauft Essen und Getränke, verteilt vorbestelltes Essen aus, füllt gratis kochend heisses Wasser in einen für alle zugänglichen Tank (welcher mit Kohle beheizt wird), verteilt Bettlacken und Kissenbezüge, weckt und vieles mehr. Die Zugbegleitung sorgt für Zucht und Ordnung in ihrem Wagon und mahnt mit strengem Blick alle Gäste, die nicht spuren wollen.

Die Wagons wurden auf 26 Grad geheizt (T-Shirt Wetter während draussen Schneelandschaften vorbeiziehen). Es gab keine Dusche, dafür zwei Toiletten, wie im Flugzeug, für total 42 Passagiere. Dank der Provodnista sind diese erträglich sauber.

Kurz nach Abfahrt ist russische Essenszeit. Überall wird geraschelt und ausgepackt. Draussen ziehen die Vororte von Moskau vorbei, mit jedem Meter wird die Anzahl Stockwerke der Häuser niedriger, die Lichter rarer und irgendwann wird auch im Wagon die Belichtung gedimmt und schlussendlich gelöscht. Wir düsen in den Norden, vorbei an unzähligen Nadelbäumen und lassen uns vom Wippen des Zuges in den Schlaf schaukeln.

Naja, das mit dem Schlaf klappte zumindest in der unteren Koje. Die 4. Klasse-Kojen sind die günstigen im ganzen Wagon. Und die oberen Betten der 4. Klasse sind die mit Abstand kleinsten, engsten und kältesten Kojen des ganzen Zuges (und auch günstigsten). Banana schlief in ebendieser Koje und kriegte kein Auge zu. Sie war heilfroh, als die Nacht vorbei war. Guru hingegen hatte seine Ohropax (Danke Dieter!) montiert und schlief friedlich die ganze Nacht durch.

Der nächste Tag danach verging wie im Flug. Wir haben gelesen, gegessen, Musik gehört, uns mit anderen russischen Fahrgästen unterhalten bzw. mit Hand und Füssen verständigt und aus dem Fenster geschaut. An einem der zahlreichen Haltestellen sahen wir, wie Verkäufer am Bahnsteig gefrorene und geräucherte Fische, Shrimps und Krabben feil boten.

Am späteren Abend verliess das russische Pärchen aus der gegenüberliegenden 3. Klassen den Zug. Die russische Dame küsste uns herzlich und wünschte uns eine gute Weiterreise. Guru packte die sich ergebende Chance und schrieb auf einen Zettel auf Russisch (übersetzt mit einem Wörterbuch der Fuchs): „Ist das Abteil neben uns mit der Nummer 21 und 23 noch frei? / Купе рядом с нами с номерами 21 и 23 все еще свободно?“. Die Provodnista reagierte auf die Frage mit vielen russischen Worten und wilden Gesten – Guru schloss daraus, dass wir das Abteil auf eigene Verantwortung nutzen können. Wir wechselten heilfroh in die bequemeren Kojen.

Am nächsten Morgen weckten uns die Sonne und das starke Ruckeln des Zuges. Wir waren ausgeruht und genossen die Schneelandschaft. Der Zug befand sich kurz vor Murmansk, in der endlosen Weite des russischen Nordens.

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